Stetes Wachstum: Ein Trugschluss, alternativlos oder gibt es doch «neue Zukunftsvisionen – Konferenz mit Mathias Binswanger
…. so der Titel der Konferenz mit Mathias Binswanger, einem der einflußreichsten Ökonomen der Schweiz. Leider konnte der geplante Austausch zwischen Mathias Binswanger und Ulrike Herrmann, TAZ-Journalistin, nicht stattfinden, da Frau Herrmann kurzfristig absagen musste. So erhielt die Veranstaltung eine z.T. andere Ausrichtung, wobei der Vortrag von Mathias Binswanger lebendig und kritisch in der anschlieβenden Fragerunde und „beim Patt“ diskutiert wurde.
Ein kurzer Bericht sowie Überlegungen zur Fortführung der Diskussion: Was bedeutet eigentlich „exponentielles Wachstum“ im Konkreten? Mathias Binswanger sprach in diesem Zusammenhang von dem Irrsinn des „Zwang des Wachstums“ und führte an, dass gemäβ heutigen Analysen „Wachstum in reichen Ländern die Menschen im Durchschnitt nicht glücklicher und zufriedener“ mache. Doch, so der Referent, „wir müssen weiterwachsen, damit die Wirtschaft funktioniert“
Die fehlende Relation zwischen ökonomischem Wachstum und menschlichem Glück wurde vom Referenten dabei überzeugend dargelegt.
Der Fokus des Referenten lag aber eindeutig darauf aufzuzeigen, dass Wachstum inhärent mit dem heutigen Wirtschaftssystem verbunden ist. So formuliert er dann die auf den ersten Blick etwas widersprüchliche These: Wachstum sei zwar nicht mehr anstrebenswert – aber leider unausweichlich …
Diese Überzeugung illustrierte er anhand folgender Aussagen:
«Folgende Elemente sind zentral für den Wachstumszwang in modernen kapitalistischen Wirtschaften:
- Es handelt sich um Geldwirtschaften, wo Unternehmen einen Gewinn erzielen müssen, indem die Erlöse die Kosten über-steigen.
- Es gibt Wettbewerb zwischen den Unternehmen und dadurch eine ständige Notwendigkeit, besser als die Konkurrenz zu sein (Zwangsgesetz der Konkurrenz bei Marx).
- Es gibt technischen Fortschritt, welcher stets neue Produkte und Verfahren ermöglicht (Prozess der schöpferischen Zerstörung bei Schumpeter).
ebenso wie das „Dilemma“
„Das Dilemma
- Das heutige Wirtschaftssystem zwingt uns zu weiterem Wachstum, auch wenn die Menschen in Wirklichkeit gar kein Bedürfnis nach noch mehr Konsum haben.
- Wachstum ermöglicht der Mehrheit der Unternehmen auf Dauer Gewinne zu machen und dem Staat sich permanent zu verschulden.
- Ohne Wachstum gerät das System in eine Abwärtsspirale.
- Doch Wachstum macht die Menschen in hoch entwickelten Ländern nicht glücklicher und belastet die Umwelt.»
Die Hauptforderung des Referenten bestand letztlich darin, für neue Formen der Unternehmensorganisation einzutreten. Seine These ist, wenn die Betriebe eine Chance haben, sich dem Wachstumszwang zu entziehen, die gesamte Wirtschaft umorientiert werden könnte. Die Reform der Aktiengesellschaften „als wichtigsten Expansionstreiber (Maximierung der Shareholder Value)“ wäre nach Ansicht des Ökonomen zentral. Mehr Genossenschaften? Mehr Stiftungen? … so seine Fragestellungen.
Abschlieβend führte Mathias Binswanger Parallelen zwischen der Schweiz und Luxemburg an. Beide seien wir abhängig von den Arbeitskräften der Großregion, der Siedlungsdruck nehme zu u.a.m. Dabei stand folgende These im Fokus: „Ein möglichst hohes Wachstum anzustreben, welches nur zu einer geringen Zunahme des Wohlstandes (BIP pro Kopf führt) und der Lebensqualität und der Umwelt abträglich ist, macht wenig Sinn.»
Er glaube nicht daran, dass das System total umgestaltet werden könnte, würde sich eher für ein moderates Wachstum in bestimmten Sektoren einsetzen und für graduelle Reformen (wie jene der Unternehmensstruktur). Seine Sichtweise: zu «radikale» Forderungen seien kontraproduktiv. Denn sie führten dazu, dass schlussendlich gar keine Veränderungen erfolgten …
Und weiter: Bisher wüsste noch niemand, wie ein Wirtschaftssystem schlussendlich ohne Wachstum aussehen würde. Wir sollen darauf hinarbeiten, dies in konkreten realistischen Schritten.
Diese doch eher pragmatische Herangehensweise des Referenten löste verständlicherweise rege Diskussionen bei den zahlreichen Zuhörern:innen aus. Bei einigen Anwesenden entstand der Eindruck, seine Thesen würde denen von Wachstumsbefürwortern gleichkommen …. Andere hingegen begrüβten seine fachliche und pragmatische Herangehensweise.
Letztendlich ist der Vortrag als einen weiteren Beitrag in der gesamten Wachstumsdebatte zu sehen. Es gibt wohl nicht DEN Referenten, der DAS Modell auf den Tisch legt. Zur Bereicherung der Diskussion finden Sie obenstehend subjektive Schlussfolgerungen aufgrund der bisherigen Diskussionen …. Sie sollen ebenfalls zur Bereicherung der Diskussionen auch innerhalb des Mouvement Ecologique beitragen.
Und die Konferenz von Mathias Binswanger wird sicherlich nicht die letzte sein. Ziel ist, einen sehr lösungsorientierten Redner für einen weiteren Vortrag zu gewinnen. Lassen Sie sich überraschen.
Links zu den vorherigen Konferenzen organisiert vom Mouvement Ecologique betreffend dieses Thema:
https://www.meco.lu/de/blog/documentcenter/jorgen-randers-bericht-und-video/
https://www.meco.lu/de/blog/documentcenter/ulrich-brand-bericht/
https://www.meco.lu/de/blog/documentcenter/table-ronde-wei-emgoe-mat-der-wuesstemsfro/
https://www.meco.lu/de/blog/documentcenter/auf-dem-weg-zu-einer-nachhaltigen-steuerreform/
07.03.2024