Nachhaltige Entwicklung
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Die finanzielle Abhängigkeit des Pensionssystems vom steten Wachstumszwang hinterfragen!

Die Finanzierung des Pensionssystems setzt derzeit ein erhebliches Wachstum voraus:

  • Anwachsen der in Luxemburg lebenden Bevölkerung von 625.000 im Jahre 2020 auf 785.000 im Jahre 2070;
  • Durchschnittliche Steigerung der aktiven Bevölkerung um 0,6% pro Jahr: von 460.000 im Jahre 2020 auf 630.000 im Jahre 2070;
  • Durchschnittliche jährliche Zunahme der Pensionsberechtigten um 2,3% von 195.000 im Jahre 2020 auf 605.000 im Jahre 2070;
  • Eine durchschnittliche jährliche Produktivitätssteigerung um 1,2%;
  • Eine durchschnittliche jährliche Steigerung des PIB um 1,8%.

Diese Zahlen bedeuten eine erhebliche Steigerung des PIB. Da die Steigerung exponentiell erfolgt, ergibt sich daraus folgendes Bild: Bei einem durchschnittlichen jährlichen Wirtschaftswachstum würde die Wirtschaftsleistung 2070 beinahe doppelt so hoch sein wie heute. Selbst bei großen technologischen Fortschritten würde der Ressourcenverbrauch entsprechend zunehmen.

Der Mouvement Ecologique ist grundsätzlich der Überzeugung, dass diese Wachstumsraten nicht nachhaltig sind. Stellt sich aber die Frage, ob sie überhaupt aus ökonomischer Sicht realistisch sind. Deshalb hat der Mouvement Ecologique das „Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung“ (WIFO) beauftragt zu analysieren inwiefern diese Annahmen überhaupt plausibel sind.

Die Schlussfolgerungen der Autoren sind aufschlussreich:

Wohl wissend, dass die „wirtschaftliche und demografische Entwicklung über einen Zeitraum von fünf Jahrzehnten von erheblichen Unsicherheiten geprägt (ist)“ kann das Finanzierungsmodell des Luxemburger Pensionssystems nicht a priori als nachhaltig angesehen werden.

 

Die Schlussfolgerungen des Mouvement Ecologique aufgrund der Studie:

Finanzierung des Pensionssystems im Gesamtkontext eines fehlgeleiteten ökonomischen Systems

Der nicht nachhaltige Umgang mit den natürlichen Ressourcen unseres Planeten, der Raubbau an unseren Lebensgrundlagen, ist ursächlich mit unserem Wirtschaftssystem, seiner Organisation und seinen Triebkräften (Profitdenken und Profitgier, Konkurrenzkampf zwischen den Menschen und den Nationen, unmäßige private Kapitalakkumulation, rücksichtslose Ausbeutung von Mensch und Natur) verbunden.

Das heutige System ist schlichtweg nicht mit den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung zu vereinbaren, führt zur Zerstörung der Lebensgrundlagen des Menschen. Diese Tatsache heben auch internationale wissenschaftliche Gremien, wie der Weltbiodiversitäts- und der Weltklimarat immer wieder hervor.

Leider wird das Hinterfragen des Systems aber immer wieder auch mit dem Argument verworfen, die Finanzierung des Sozialsystems erlaube keine Alternativen. Es bestünde quasi ein Wachstumszwang.

Die Tatsache, dass die Sicherstellung der Finanzierung des Sozialsystems – wie in den angeführten Modellierungen – immer wieder mit der Wachstumsfrage verknüpft wird, ist wohl auch einer gewissen „Fantasielosigkeit“ oder einem „Verharren am heutigen System“ geschuldet.

Der Mouvement Ecologique steht ohne Wenn und Aber hinter einem Modell des Wohlfahrtsstaats, eines leistungsstarken Sozialversicherungssystems, das mehr ist als ein Netz gegen Armut. Notwendig ist vielmehr ein solidarisches Sozialsystem, das es erlaubt, in allen Lebenslagen ein gutes Leben führen zu können, ohne materielle Zukunftsangst haben zu müssen. Ein Leben ohne materielle und soziale Zukunftsangst ist die Basis für ein solidarisches Zusammenleben, aber auch für Toleranz und Demokratie.

Dies muss für heutige, aber auch für kommende Generationen gelten.

Insofern soll die vorliegende Analyse in keinster Form die Notwendigkeit des Solidarsystems infrage stellen.

Aber: sie gilt als Appell, der Fantasielosigkeit des Wachstumsdogmas neue Modelle der sozialen, ökologischen und ökonomischen Entwicklung entgegenzustellen, bei denen der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, der Mensch und die zukünftigen Generationen im Fokus stehen.

Verteilungsgerechtigkeit (zur Erinnerung, gemäß dem Global Wealth Report 2021 von Credit Suisse besaß 1 % der Weltbevölkerung 46 % des gesamten weltweiten Vermögens. Die reichsten 10 % verfügten über 82 % des weltweiten Vermögens) – Solidarität und ökologische Nachhaltigkeit sollen die Leitbilder sein. Damit aber auch zusammenhängend die Fragestellung, ob eine stete Steigerung des materiellen Konsums und Güter zielführend für ein zufriedenes Leben und demnach weiterhin als oberstes politisches Ziel gelten sollen oder nicht.

Denn: es kann und darf nicht sein, dass die heutige Generation den kommenden Generationen nicht nur die Bürde der Klima- und Biodiversitätskatastrophen aufhalsen, sondern auch noch ein Modell der Finanzierung der Sozialleistungen, das auf irrealen Parametern beruht.

Und dies ist eindeutig der Fall!

 

Es ist geradezu unverantwortlich, ein Finanzierungssystem als Basis zu nehmen, das a priori sowohl auf Entwicklungen fußt, die u.a. aus Nachhaltigkeitssicht nicht wünschenswert sind und von dem ebenfalls von vorneherein große Unsicherheiten bestehen, dass sie eintreten werden.

Modellierungen sollen doch von wünschenswerten und plausiblen Entwicklungen ausgehen. Dabei gilt die Frage der Finanzierung zudem „nicht nur“ für das Pensionssystem, sondern auch darüber hinaus. Es stellt sich weit darüber hinaus die Frage einer nachhaltigen Finanzwirtschaft, die nicht auf dem Wachstum basiert.

Klimaanpassungsmaßnahmen werden mit hohen Kosten verbunden sein (wobei diese aber letztendlich weitaus geringer sind als die entstehenden Kosten durch Nichthandeln, trotzdem müssen sie aufgebracht werden). Aber auch Faktoren wie die alternde Bevölkerung werden zu Mehrkosten führen, durch die Aufrechterhaltung unseres solidarischen Sozialsystems in all seinen Bereichen (Pensionsversicherung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung), Mehrausgaben für das Gesundheitswesen, für den öffentlichen Transport u.a.m.

Die Analyse zeigt schlussendlich erneut den Bedarf einer reellen Debatte über die ökonomische, ökologische und soziale Ausrichtung unseres Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells.

Dazu gehören neben ganz grundsätzlichen Überlegungen auch konkrete Initiativen wie jene, dass die Simulationen der Zunahme des PIB sowie der Bevölkerung / der Pendlerbewegungen einem sogenannten „Stresstest“ unterworfen werden. D.h. dass untersucht wird, was der reelle gesellschaftliche Gewinn dieses Wachstums ist und wer davon profitiert und inwiefern es – unter realistischen Bedingungen – mit den Zielen des Biodiversitäts- und Klimaschutzes, der Begrenztheit der Ressource Wasser und der sich daraus ergebenen Infrastrukturen vereinbar ist. Diese Forderung hat der Mouvement Ecologique u.a. bereits anlässlich des neuen „programme directeur“ der Landesplanung erhoben (Anhang 2).

Oder aber die Analyse und Abschaffung umweltschädlicher Subventionen, so dass nicht auch noch mit Steuergeldern die Klima- und Biodiversitätskrise finanziert werden (Gelder, die zudem an anderer Stelle fehlen) oder die Frage nach einer stärkeren Besteuerung des Kapitals, der Durchführung einer nachhaltigen Steuerreform u.a.m.

Der „Earth Overshoot Day“ wird jährlich von der US-amerikanischen Organisation Global Footprint Network (GFN) veröffentlicht. Sie analysiert, individuell für jedes Land, aber auch für die gesamte Weltbevölkerung, an welchem Tag im Jahr wir unsere Ressourcen global verbraucht hätten, wenn alle Menschen so leben würden wie die Bevölkerung des untersuchten Landes. Letztes Jahr war dies für Luxemburg schon Mitte Februar der Fall!

Gerade der Earth Overshoot-Day sollte uns vor Augen führen: Ab diesem Datum leben wir sozusagen auf Pump!

 

 

12.02.2024