Jørgen Randers, Mitglied des Club of Rome in Luxemburg | ”Luxembourg and Norway are both stinky rich“! – Wie die Zukunft nachhaltiger gestaltet werden kann
Ein persönlicher Bericht über eine Konferenz, die informativ war, anregte und polarisierte
Selten hat eine Konferenz für so viel Diskussionsstoff gesorgt wie jene von Dr. Jørgen Randers, die vom Mouvement Ecologique in Zusammenarbeit mit einer ganzen Reihe von Bewegungen aus der Zivilgesellschaft am 20. Februar 2023 im Kulturzentrum Neumünster stattfannd.
Jørgen Randers ist emeritierter Professor für Klimastrategie an der BI Norwegian Business School. Er hat sich schon immer mit Zukunftsthemen beschäftigt, insbesondere mit Nachhaltigkeit, Klima und Energie, hält Vorlesungen und berät Unternehmen auf der ganzen Welt, zunehmend auch in China. Er hat ein Drittel seines Lebens in der Wissenschaft, ein Drittel in der Wirtschaft und ein Drittel in der Welt der NGOs verbracht. Jørgen Randers ist Co-Autor des ersten Buches „Die Grenzen des Wachstums“ des „Club of Rome“, das vor über 50 Jahren erschien. Diese Veröffentlichung schrieb zweifellos Geschichte.
In den 70er-Jahren thematisierten mit dieser Publikation Wissenschaftler:innen weltweit zum ersten Mal, dass unser Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell so nicht zukunftsfähig ist. Zahlreiche Publikationen folgten. Randers blieb eine der Stimmen, welche die Diskussion in den vergangenen 50 Jahren mit prägten, er blieb fast über alle Jahre hinweg ebenfalls Mitglied im Club of Rome. So wurde auch der letzte Bericht an den Club of Rome, der Thema der Konferenz war, von ihm mitverfasst („Den Neie Rapport vum Club of Rome: Eng Äerd fir ons all – ee Survival Guide fir d’Mënschheet“). Parallel dazu engagierte er sich aber auch in Organisationen wie WWF und viele anderen NGOs.
Mittlerweile ist er 77 Jahre alt und kann auf 50 Jahre Erfahrung zurückgreifen.
Jørgen Randers – ein kritischer Rückblick auf die vergangenen 50 Jahre
Gerade dieser lange Erfahrungsschatz prägt auch seine Sicht auf aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen.
Jørgen Randers gibt unumwunden zu, dass sich die Autoren der „Grenzen des Wachstums“ geirrt haben. Nicht in den Szenarien, die sie entwickelt haben, sondern in den Reaktionen, die sie darauf erwartet hatten. Sie gingen von der Überzeugung aus, dass ihr Werk die Menschen aufrütteln (zumal es in zig Sprachen übersetzt wurde) und die Politik weltweit reagieren und handeln würde … Nach dem Motto: Wenn ein Problem sachlich beschrieben wird, wird selbstverständlich gehandelt.
Dem war jedoch nicht so. Wohl wurde das Werk zu einem Standardwerk der Umweltpolitik, aber es fand keine wirkliche Veränderung in der Politikgestaltung statt.
Jørgen Randers hat dann auch einen recht ernüchternden Blick auf die Entwicklung der letzten 50 Jahre und hinterfragt die Reaktionsfähigkeit von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zu stark wären die Blockaden gegen die notwendigen Kurskorrekturen: so auch seitens vieler Bürger:innen, die keine ausreichende Akzeptanz für Neuorientierungen hätten und einer Politik, die nicht den Mut aufbringen würde, klare Entscheidungen zu treffen.
Randers selbst hat sich weltweit in diversen Funktionen engagiert und versucht, wichtige Weichen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu stellen. Doch er stellte aus seiner Sicht fest, dass diese Initiativen nur begrenzt erfolgreich waren. Dabei ist er der Überzeugung, und er legte dies auch im Rahmen der Konferenz dar, dass ein „weiter wie bisher“ mit einer noch höheren Ungleichheit, sozialen Spannungen, umweltpolitischen Krisen, weniger Wohlbefinden. und anderen Folgen einhergeht. Umso unabdingbarer wäre es, dass endlich konsequent gehandelt wird.
Profitmaximierung blockiert Veränderungen
Diese Analyse führt dazu, dass Jørgen Randers heute andere notwendige Reformen in den Fokus rückt als noch vor Jahren. So sehr er nach wie vor materielles Wachstum hinterfragt: Seine Kernaussage ist heute eine andere.
Seine Grundüberlegung ist dabei folgende: Weder das Wirtschafts- noch das Gesellschaftsmodell reformiert sich in dem Sinne, wie es zum Erhalt der Lebensgrundlagen erforderlich gewesen wäre. Dies liegt seiner Überzeugung nach daran, dass die dafür erforderlichen Instrumente nicht profitmaximierend wären. Und nur profitorientierte Projekte hätten eine Chance. Deshalb müsse man dort den Hebel ansetzen und die wichtigen Alternativen zum heutigen Modell seitens der öffentlichen Hand maximal mit finanziellen Anreizen vorantreiben!
Nur so könne vor allem der Klimawandel angegangen werden.
Das bedeute aus seiner Sicht: massive Investitionen in die Dekarbonisierung, den Ausbau der erneuerbaren Energien und aller entsprechenden Maßnahmen, inklusive der E-Mobilität. Wer nun bei der Aussage „massive Gelder für die E-Mobilität“ zusammenzuckt, da er eine Prioritätensetzung auf den öffentlichen Transport oder den Ausbau der sanften Mobilität als sinnvoller erachtet, der trifft einen der zentralen „strittigen“ Punkte von Jørgen Randers.
Jørgen Randers glaubt nicht mehr daran, dass der Ausbau des öffentlichen Transportes ausreichen würde bzw. genügend Akzeptanz findet, um im Mobilitätssektor die notwendige Wende zu erreichen. Zentral ist seiner Ansicht nach der Ausstieg aus den fossilen Energien, dieses Ziel sei anderen überlagert. Deshalb richtet er den Fokus auf die E-Mobilität. Wobei er aber einräumt, dass die Mobilitätsplanung auch andere Aspekte wie z.B. solche der Biodiversität berücksichtigen müsse ….
Seinen Berechnungen nach würden 2-3 % des Bruttosozialproduktes ausreichen, um die erwähnten Alternativen zu finanzieren.
Und nun? Woher das Geld nehmen?
Randers sieht seine Antwort in den Kreisen, in denen er sich auch nach eigenem Bekunden aufhält. Denn Randers führt an, dass gerade „seine reichen Freunde“ zur Kasse gebeten werden müssen. Er will damit wohl auch bewusst vermitteln, dass ein engagierter Mensch im ökologischen Bereich durchaus eine gewisse Ambivalenz ausstrahlen mag.
Seine Hauptthese, die er mit sehr viel Überzeugungskraft vertritt, ist jene, dass die sozialen Spannungen vor allem auch aufgrund der ungerechten Verteilung der Gelder zwischen Arm und Reich zu unberechenbaren Folgen führen werden.
Diese bergen gemäß Randers, erheblichen Sprengstoff, das gesamte System riskiere zusammenzubrechen. Diese Situation, so seine Analyse, wäre einer großen Anzahl von sehr reichen Menschen durchaus bewusst. Deshalb würden sie „lieber“ auf etwas Geld verzichten, als zu riskieren, dass das gesamte Modell zusammenbricht und sie de facto „alles verlieren“ würden.
Seine These ist somit: Die sehr reichen Menschen sollten 3-6 % mehr Steuern zahlen, diese müssten zum Ausbau von Alternativen genutzt werden. Eine derartige Entscheidung müsse sich seiner Überzeugung nach umsetzen lassen: Denn gerade 10 % der Bevölkerung (die 50 % des Besitzes haben) wären hiervon betroffen. Eigentlich müsste es gelingen, dass die „anderen 90 %“ gemeinsam diese Besteuerung durchsetzen können.
Stinky rich
Dabei sieht er sein Herkunftsland Norwegen und Luxemburg in manchen Punkten recht vergleichbar. So wie Norwegen den Reichtum aus dem Verkauf von Gas generiert, erwirtschafte Luxemburg seinen Reichtum vor allem mit dem Finanzsektor. Einem Finanzsektor, der seinerseits weit davon entfernt wäre, wirklich „grün“ zu werden …
Fünf „Turnarounds“
Zudem thematisiert er fünf zentrale Handlungsfelder:
- Reduce poverty
- Reduce inequality
- Empower women
- Reduce biodiversity loss
- Slow climate change.
Es gibt nicht DEN „Club of Rome“
Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang eine Erkenntnis zum „Club of Rome“: Verbinden Sie mit dem Begriff des „Club of Rome“ nicht auch einen Konsens? Gehen Sie nicht auch davon aus, dass sich hier weltweite Wissenschaftler:innen zu einer gemeinsamen Analyse durchgerungen haben? Haben Sie sich auch schon gefragt, warum die Publikationen nicht „Bericht des Club of Rome“ heißen, sondern „Bericht an den Club of Rome“?
Das liegt schlichtweg daran, dass es auch in derartigen Gremien keinen direkten Konsens in allen Fragen gibt. Die grundsätzliche Hinterfragung des heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells ist zwar ohne Zweifel ein gemeinsamer Standpunkt, doch in den Lösungswegen gibt es Differenzen. Jorgen Randers vertritt einen davon, die letzte vor allem von ihm getragene Publikation wurde in dieser Form gutgeheißen, doch es gibt auch andere Sichtweisen. Irritierend frustrierend, da man vielleicht hoffen wollte, es bestünde Einigkeit unter solchen weisen Persönlichkeiten …. Aber in einem gewissen Sinne auch eine positive Situation, da es nicht das Allheilmittel gibt und es aufzeigt, dass auf allen Ebenen Diskussionsbedarf besteht.
JørgenRanders – Ein Referent, der polarisiert …
Jørgen Randers irritierte mit einigen seiner Aussagen.
Doch vielleicht war das auch das Spannende und Wichtige an dieser Konferenz: Randers erreichte, dass äußerst grundsätzliche Diskussionen losgetreten wurden, die bis dato vielleicht nicht immer im notwendigen Ausmaß geführt wurden:
- Akzeptanz: Wenn gerade eine Persönlichkeit, wie Randers, ein Mitglied der ersten Stunde des „Club of Rome“, anführt, es sei nicht gelungen, ausreichend Menschen für ein neues Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell zu gewinnen und diese Situation setze auch der Politik Grenzen, so lässt einen das nicht kalt … Man mag sagen: Die politischen Akteure haben die Verantwortung, die Zukunft zu sichern und sind dieser Aufgabe verpflichtet. Man mag sich aber auch – gerade in Zeiten der „urgence climatique“ – die Frage stellen, was getan werden muss, damit mehr Menschen eine klare Botschaft geben, dass sie einen Systemwechsel wollen und sich für die sozial-ökologische Transition stark machen. Es braucht wohl ein ausgewogenes Verhältnis zwischen „politischem Mut und Gestaltungswillen“ und „Akzeptanz“….
- Wachstumsfrage: Gemäß Jørgen Randers ist ein weiteres wirtschaftliches Wachstum durchaus möglich. Die Entwicklung müsse „lediglich“ kanalisiert, in welchen Sektoren dieses Wachstum stattfinden solle und eine Entkoppelung mit dem Ressourcenverbrauch müsse gewährleistet sein. Vor allem aber vertrat Jørgen Randers die These, eine Umkehr vom Wachstumsgedanken würde keine gesellschaftliche Akzeptanz finden. Für manchen besonders befremdend war, dass er dabei sogar anführte, es seien ausreichend Ressourcen vorhanden … Diese Aussage wirkte höchst irritierend bei vielen. Dies zumal, wenn er anführt, dass er in zahlreichen Wissenschaftskreisen, die über die Grenzen der Ressourcen diskutieren, in der Minderheit stehe. Aber auch hier löste er mit seinen Aussagen eine rege Debatte aus.
- Demokratie: Vor allem seine Aussagen in Bezug auf China stießen auf Kritik. Aber, so die Erfahrung, wenn man einige Zeit mit ihm während seines Aufenthaltes in Luxemburg verbracht hat: Er wollte dabei keinesfalls die Menschenrechtsverletzungen in China schön reden! Ziel war wohl eher, einen Spiegel vorzuhalten: Wir sind „nicht die Guten“, wenn man die Menschenrechtsverletzungen sieht, die derzeit auch seitens westlicher Industrienationen in den Ländern des Südens erfolgen oder z.B. gegenüber Flüchtlingen. Und wir müssen feststellen, dass die heutige „gouvernance“ der westlichen Staaten unser Demokratiesystem in dem Sinne versagt haben, als dass sie ein zerstörerisches Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell fortführen …. Dies erfordere auch einen kritischen Blick auf uns selbst. Die Frage stünde dann auch im Raum, wie es gelingen kann, dass in unserem demokratischen System die Zukunftsfragen stärker angegangen werden können.
- Klima, Klima, Klima …: Jorgen Randers fokussiert sich in seinen Aussagen fast ausschließlich auf die Klimafrage. Die Klimakatastrophe sei derart bedrohlich, dass sie die Debatten prägen müsse. Sprich: bei der Mobilitätsdiskussion nicht den öffentlichen Transport und die sanfte Mobilität in den Fokus rücken, sondern die E-Mobilität. Eine Nicht-Regierungsorganisation steht sonder Zweifel auch für andere Ziele ein, wie mehr Lebensqualität durch die Umgestaltung von Städten und Dörfern …. Aber ein Beitrag wie jener von Randers, hilft in den Fokus zu rücken, dass während man noch über die Opportunität der Gestaltung von Ortschaften diskutieren kann, kein Weg daran vorbeiführt, die Bekämpfung der Klimakrise weitaus konsequenter anzugehen.
Hat sich wirklich nichts getan?
Die Liste der Diskussionen, die ausgelöst wurden, ließe sich fortsetzen. Wir laden Sie ein, sich das Video zur Konferenz anzusehen.
Und doch: Hat sich tatsächlich nichts in den letzten 50 Jahren getan? Sicherlich, die Entwicklung ging in die falsche Richtung. Die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen hat seit den 70er-Jahren an Fahrt aufgenommen. Und aber: sind die zahlreichen Menschen weltweit und in Luxemburg zu ignorieren, die sich für eine andere Zukunft einsetzen? Zeugen die zahlreichen Projekte von Kooperativen, engagierten Gemeinden und Bürger:innen – um nur diese zu nennen – nicht davon, dass eine gewisse Werte- und Prioritätenverschiebung stattfindet ? Hat nicht auch die Tatsache, dass die Klimaveränderung „bei uns“ angekommen ist, zu einem weiteren Umdenken geführt?
Und ist vor allem das Engagement – und dies ist wohl prägend auch für den Mouvement Ecologique – für eine nachhaltige Zukunft nicht nur eine Frage der Klimaneutralität, sondern auch eine, in denen die Frage im Fokus steht „wie wir gut leben möchten und weltweite Solidarität“ definieren?
Stehen weite Teile der engagierten Zivilgesellschaft nicht auch dafür, dass es ohne Zweifel oberste Maxime sein muss, die Klimakatastrophe und den weiteren Biodiversitätsverlust einzudämmen, es darüber hinaus auch darum geht, „gutes“ Leben so zu definieren, dass nicht künstlicher Konsum, sondern auch Miteinander und Solidarität im Fokus stehen. So idealistisch dies auch – im Vergleich zu den im positiven Sinne „abgeklärten“ Überlegungen von Jorgen Randers – auch klingen mag.
bw
03.03.23