Versagt die Gesellschaft beim Kampf gegen den Klimawandel? Welche konkreten Folgerungen ergeben sich daraus?

Diese Fragen stellte Jens Beckert, Professor für Soziologie und Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln, dem Publikum.
Die Folgen des Klimawandels – in Form immer extremerer Wetterereignisse und der Destabilisierung menschlicher Lebensgrundlagen – werden weltweit immer spürbarer. Trotz dieser sichtbaren Konsequenzen gelingt es unseren Gesellschaften nicht, angemessen zu reagieren. Selbst nach wiederholten dramatischen Weckrufen wie den anhaltenden Bränden in Kalifornien fehlt ein kollektives Umdenken und Handeln, das eine globale Temperaturerhöhung um 2–3 °C in diesem Jahrhundert noch verhindern könnte.
Ein realistischerer Umgang mit dem Klimawandel in Politik und Gesellschaft
Jens Beckert plädiert für einen realistischen Blick auf den Klimawandel, frei von Wunschdenken und vermeintlich einfachen Lösungen. Trotz des massiven Ausbaus erneuerbarer Energien in den letzten Jahren werden heute mehr als doppelt so viele Treibhausgase ausgestoßen wie vor 40 Jahren – also genau in dem Zeitraum, in dem das Bewusstsein für den Klimawandel entstand.
„Der Klimawandel wird nicht durch den Ausbau erneuerbarer Energien gestoppt, sondern durch Verzicht und die Nichtverbrennung fossiler Energien.“ – so Jens Beckert, doch dies sei leider nicht gelungen. Der Verbrauch an fossilen Energien habe nicht abgenommen.
Das Wirtschaftswachstum – insbesondere im globalen Süden –, angetrieben durch die Nutzung und den Verkauf natürlicher Ressourcen, wird laut Beckert maßgeblich zum Überschreiten der 2–3-°C-Grenze beitragen.
„Es kommt viel darauf an, ob in diesen Ländern, die sich jetzt entwickeln, ein fossiler Pfad bestritten wird, oder aber in der Energieproduktion ein Pfad von regenerativen Energien.“
Die Menschheit im Griff kapitalistischer Macht- und Anreizstrukturen
„Die für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bestehenden Macht- und Anreizstrukturen verhindern, dass Gesellschaften angemessen auf die Herausforderungen des Klimawandels reagieren“.
Als Sozialwissenschaftler untersucht Jens Beckert, wie die kapitalistischen Strukturen der letzten 500 Jahre menschliche Gesellschaften tiefgreifend verändert und den Wachstumszwang vorangetrieben haben. Neben den wirtschaftlichen Veränderungen gab es einen tiefgreifenden kulturellen Wandel – insbesondere durch den Glauben an Fortschritt und die zunehmende Individualisierung. Seit 1800 führt diese Dynamik zu einer massiven Steigerung von Wohlstand und Energieverbrauch.
Beckert zeigt, dass die Interaktionen zwischen Wirtschaft, Staat und Gesellschaft ein System bilden, das sich aufgrund seiner Strukturen nur sehr langsam verändert. Besonders auf globaler Ebene spielen Machtverhältnisse und steigende Komplexität eine entscheidende Rolle.
Statt die strukturellen Ursachen zu adressieren, wird die Verantwortung für den Klimaschutz oft dem Individuum zugeschoben. Beckert betont, dass viele Lebensweisen nicht frei gewählt, sondern durch äußere Zwänge geprägt sind – sei es durch materielle Bedingungen („Je nach Wohnort bin ich auf ein Auto angewiesen“) oder durch gesellschaftliche Werte.
„Wir positionieren uns über unseren Konsum in einem Statuswettbewerb mit einer Steigerungslogik, die kein prinzpielles Ende hat“.
Spannend sind die Aussagen von Jens Beckert in diesem Zusammenhang, wie Menschen Veränderungen wahrnehmen. Das gesellschaftliche Zusammenleben sei durch starke Regeln, sei es im Beruf, in zwischenmenschlichen Beziehungen oder in der Politik eingegrenzt. Der Konsum bietet hier die Möglichkeit, sich ohne starre Regeln selbst zu verwirklichen und auszuleben. Einen Eingriff in Konsumverhalten würde deshalb als besonders einengend empfunden.
„Es ist also keine moralische Verfehlung, sondern es sind die Strukturen selbst, die dazu führen, dass diese energiereichen Lebensstile vorliegen. Es wäre nur durch die Veränderung dieser Strukturen, dass individuelles Handeln sich anpassen könnte“.
Diese Strukturen sind veränderbar – allerdings nur langfristig.
Beckert kritisiert die Vorstellung eines „grünen Wachstums“, also die Hoffnung auf eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Treibhausgasemissionen. Der Wandel unserer Produktions- und Konsummuster verläuft zu langsam und führt oft zu neuen ökologischen Problemen wie Umweltverschmutzung oder Artensterben.
Struktureller Wandel durch Realismus und bessere Anreize
Eine realistische Auseinandersetzung mit dem Klimawandel und seinen komplexen Ursachen ist nötig, um effektive Handlungsmöglichkeiten zu identifizieren. Doch Beckert betont: Einfache Lösungen gibt es nicht.
Neben der Anpassung der Infrastruktur müssen sich Gesellschaften mit den durch den Klimawandel entstehenden Verlusten auseinandersetzen, die die Resilienz ihrer Systeme auf die Probe stellen. Effektiver Klimaschutz erfordert vor allem attraktive Anreize für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, um eine echte Transformation zu ermöglichen.
Ein entscheidender Punkt für die Akzeptanz von Klimapolitik ist der soziale Ausgleich: „Klimaschutzpolitik wird häufig erlebt als eine Politik, die letztendlich den gehobenen sozialen Schichten zugutekommt – wenn sie Subventionen für ein Elektroauto in Anspruch nehmen wollen, müssen sie erst mal so viel Geld haben, dass sie sich ein Auto kaufen können.“
Die zentrale Frage lautet daher: Wie können auch sozial schwächere Haushalte vom Klimaschutz profitieren – und wie wird Klimapolitik kommuniziert?
„Es ist das detaillierte Sich-Hineinversetzen in die Interessenlagen und Anreizstrukturen von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, woraus möglicherweise Einsichten entstehen können, wie eine Klimapolitik gestaltet werden kann, die auf weniger Widerstand stöβt“.
Als Lösungswege führt Jens Beckert das Schaffen von positiven Anreizen für die unterschiedlichen Ebenen der Gesellschaft:
- Gesellschaft, insbesondere wirtschaftlich schwächere Haushalte: soziale Ausgleich-Maßnahmen („Klimageld”), eine Kommunikation, die die Vorteile wie z.B. neue Jobs hervorhebt;
- Wirtschaft: neue Geschäftsmodelle, Planungssicherheit, zielgerechte oder zielgerichtete ? Subventionen;
- Politik: Das bewusste Schaffen von Koalitionen.
14.02.2025