Emotionsgeladene Diskussionen – eine Chance für die Zukunfts- und Transitionsgestaltung?

Dies war die Frage, die Prof. Dr. Maren Urner, Neurowissenschaftlerin, Autorin und Professorin für Transformationsgestaltung, während einer vom Mouvement Ecologique organisierten Online-Konferenz mit 93 Teilnehmern stellte, um neue Denkanstöße zur Bewältigung der aktuellen Krisen zu liefern.

 

Die Zahlen zur Klima- und Biodiversitätskrise sind mittlerweile weithin bekannt und werden sowohl in Fachpublikationen als auch in den Massenmedien aufgegriffen, sind Teil der Schulprogramme und des gesellschaftlichen Diskurses. Zusätzlich werden die direkten und indirekten Folgen auch immer unmittelbarer spürbar für eine wachsende Anzahl von Menschen. Trotzdem schreiten die nötigen Veränderungen des individuellen und kollektiven Handelns sowie unserer gesellschaftlichen Strukturen zu langsam voran.

Hier bringt Prof. Dr. Maren Urner Gefühle ins Spiel, indem sie mit den Erkenntnissen der Neurowissenschaften die landläufigen Appelle an eine Trennung zwischen Rationalität und Emotionalität ad absurdum führt:
„Wir tun so, als ob wir Menschen der Homo oeconomicus wären, der nur rational handelt. Diese Vorstellung, dass es möglich wäre, Emotionen  und Fakten voneinander zu trennen – das ist falsch (…). Nur weil wir Überzeugungen, Werte und Gefühle haben, sind wir in der Lage, uns für oder gegen etwas zu entscheiden.“

Um gesellschaftspolitische Diskussionen zu verbessern, schlägt Urner vor, Emotionen nicht zu unterdrücken, sondern bewusst zu reflektieren und in den Dialog einzubringen. Dies fördert ein tieferes Verständnis für unterschiedliche Perspektiven und kann dazu beitragen, Konflikte zu entschärfen und gemeinsame Lösungen zu finden.

 

Hier gibt es drei Handlungsansätze, die direkt aus Prof. Dr. Urners neuem Buch „Radikal emotional – Wie Gefühle Politik machen“ stammen:

 

Radikale Aufmerksamkeit – Bewusster Umgang mit unseren Emotionen als erster Schritt zur emotionalen Reife

Wir sind alle ziemliche „emotionale Analphabeten“ – wir können nur einen Bruchteil unserer Emotionen klar benennen (in Studien sind es durchschnittlich nur Freude, Trauer, Wut), obwohl die Bandbreite viel größer ist. Der Umgang mit dieser Vielfalt an Emotionen wird nirgends gelehrt. Zusätzlich gibt es eine sehr starke Wertung – negative Emotionen sind gesamtgesellschaftlich verpönt und werden oft unterdrückt.

Dabei unterstreicht Prof. Dr. Maren Urner, dass es keine „guten“ und „schlechten“ Emotionen gibt, sondern dass der Umgang mit diesen Emotionen, wie z.B. Wut oder Angst, positiv oder negativ ist. Ein bekanntes Bild aus der Emotionsforschung ist das der Emotionen, die man versucht, wie Bälle unter Wasser zu drücken – dies kann punktuell klappen, wenn es jedoch dauerhaft passiert, brechen die Emotionen irgendwann auf viel stärkere und explosivere Art und Weise hervor.

Während eine Haltung, die „gegen“ alles ist, von einem emotionalen und kognitiven Standpunkt her sehr einfach ist, ist diese aktuell stark vertreten. Allerdings führt diese Haltung schnell zu einem Gefühl von Ohnmacht und verstärkt Frustrationen und Ängste. Hier lädt Urner dazu ein, sich mehr zu fragen, „wofür“ man eigentlich steht: Dies kostet etwas mehr kognitive Energie, ermöglicht aber die Vorstellungskraft zu mobilisieren, was wiederum das Belohnungszentrum unseres Gehirns aktiviert.

Hier liefert Prof. Dr. Urner weiter Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften: „Das ist es, was uns als Spezies ausmacht: Wir sind eine kooperative Spezies. Dabei spielt der Drang, verstanden und dadurch von anderen Menschen anerkannt zu werden, eine ganz, ganz große Rolle.“

 

Radikale Ehrlichkeit – Bessere Geschichten als Grundlage für unser Zusammenleben

Im Austausch in unseren Gesellschaften ist es wichtig, die „Geschichten“, sprich die grundlegenden Definitionen, die unser Zusammenleben bestimmen, wie z.B. „Normalität“ und „Erfolg“, zu hinterfragen und gegebenenfalls zu erneuern. So agieren wir im Kollektiv immer noch auf der Basis von einem „Normalzustand“, der schon längst nicht mehr existiert: So sind z.B. Produkte, die sehr stark zu unserem „normalen“ Tagesablauf gehören, wie Kaffee oder Orangensaft, schon sehr stark von den klimatischen und biologischen Veränderungen bedroht.

Eine weitere wichtige Komponente des gesellschaftlichen Austauschs ist Erfolg beziehungsweise Macht. Jede menschliche Interaktion ist von einem Machtgefälle geprägt, wobei diese Macht immer noch sehr stark konzentriert ist und durch materielle Symbole verstärkt und verankert wird. So werden immer noch die meisten Entscheidungen, die eine sehr große Zahl an Menschen betreffen, auch im Jahr 2025 von Männern getroffen, die im Durchschnitt eine schlechtere emotionale Reife haben, was verstärkt zu Konflikten führt.

Unsere Stärke liegt jedoch in den emotionalen und sozialen Kompetenzen, die es ermöglichen, als Gruppe zusammen zu funktionieren. So hat der Mensch im Laufe seiner Evolutionsgeschichte Muskelmasse ab- und Gehirnmasse, insbesondere im präfrontalen Kortex, aufgebaut, der für Kooperation und emotionale Verknüpfung zuständig ist.

Die Möglichkeit, sich kollektiv zu organisieren, hat uns den entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Arten gebracht und ist auch heute noch ein wesentlicher Aspekt, um mit Krisen umzugehen. Die Kooperation ist aber nur insofern langfristig möglich, wie auch unsere „Geschichten” an neue Gegebenheiten angepasst und Machtstrukturen erneuert werden.

 

Radikale Verbundenheit – Falsche Strukturen und Trennungen zusammen überwinden

Die aktuellen Strukturen fördern die Zerstörung der Grundlagen unserer Gesellschaften. Hier droht, wie bei einem Jenga-Turm durch das progressive Wegfallen einzelner wichtiger Elemente des Systems, das Ganze zusammenzufallen.

Das Fortbestehen falscher Strukturen wird auch hier wieder durch falsche Geschichten und unnatürliche Trennungen ermöglicht – Prof. Dr. Urner erwähnt hier die Trennung zwischen rationalem „Kopf“ und emotionalem „Herzen“ zwischen Politik und Privatleben. Diese letzte Trennung scheint ebenso wenig „natürlich“ wie die zwischen Emotion und Ratio: Jede Entscheidung, die ein Mensch trifft, ist auch immer eine politische Entscheidung, weil sie unser Zusammenleben betrifft – so ist z.B. unsere Gesundheit ein höchstprivates, gleichzeitig aber auch sehr politisches Thema.

Letztendlich ist auch der Druck, der in der Politik oft wiederholt wird, sich zwischen Wirtschaft und dem Planeten als unserer Lebensgrundlage zu entscheiden, eigentlich unmöglich: Ohne die Lebensgrundlage kann es keine Wirtschaft geben. Die Wirtschaft kann also auch diese Lebensgrundlage nicht zerstören, ohne sich final selbst in den Abgrund zu reißen.

Mit diesen Ansätzen liefert Prof. Dr. Urner Handlungsperspektiven, die es ermöglichen können, aus festgefahrenen Diskussionsmustern auszubrechen und den Menschen mehr Perspektiven für den Umgang mit den Krisen unserer Zeit aufzuzeigen.

Sie zeigt konkrete Beispiele, wie ein Ansatz, basierend auf das kollektive Finden eines „Wofür“ zu Lösungen führt, die eine gemeinsame Aktion von sehr unterschiedlichen Gruppen ermöglichen: So war es z.B. der Wunsch in der niederländischen Gesellschaft nach sicheren Straßen für die Kinder, der den massiven Ausbau des Fahrradnetzwerks ermöglicht hat.

 

Ein letzter Tipp von Prof. Dr. Urner, um sich selber zu schonen und seine Energie da einzusetzen, wo sie produktiv ist: Diskutieren Sie nicht mit den Stinkstiefeln dieser Erde, da verlieren Sie ihre Zeit. Schauen Sie auf die Leute, die noch offen sind für neue Ideen, nicht die lautstarke Minderheit, sondern die Unentschlossenen.“

 

Den Link des Videomitschnittes dieser Konferenz erhalten Sie indem Sie eine E-mail an secretariat@meco.lu schicken.

 

17.01.25