Die Nordstraße: Wer Straßen baut… erntet Verkehr… Deshalb: Priorität für eine Mobilitätspolitik des 21. Jahrhunderts !
Es ist soweit: nach fast 20 Jahren Bauzeit wird die Nordstraße nunmehr eröffnet. Mit der heutigen zeitlichen Distanz zu den 90ger Jahren, als das Pro und Contra der Nordstraße “debattiert” wurden, erscheinen die Beweggründe und “Argumente”, die damals zum Bau der Nordstraße führten, irreeller denn je.
Nordstraße: Paradebeispiel einer einseitigen Straßenbaupolitik des letzten Jahrhunderts
„Die Nordstraße stellt DIE einzige machbare und sinnvolle Lösung für die Verkehrsprobleme des Nordens, im Merscher Raum sowie für das Alzettetal dar“. So in etwa lautete das damalige zentrale Argument der Befürworter. Heute würde sich wohl kaum mehr einer trauen, eine derartige plakative Aussage zu machen. Fakt ist vielmehr: Mersch leidet auch nach der Teileröffnung der Nordstraße unter dem Verkehr und mit dem Ausschütten der Nordstraße auf dem Kirchberg ist dort ein regelrechtes Verkehrschaos vorprogrammiert. 750 Mio € um schneller in den Stau zu kommen…
Dieser wird wohl etwas gemindert, wenn in einigen Jahren der P+R “Héihenhaff” sowie die moderne Stadtbahn betriebsbereit sein werden. Doch dürfte jedem bewusst sein, dass der Stau aus dem Alzettetal dank der Nordstraße vor allem auf das Nadelöhr Kirchberg verlagert wird. Neue Straßen stellen keine eigentliche Lösung für Verkehrsprobleme dar: eine Schlussfolgerung, die auch die ferventesten Vertreter der Nordstraße aus heutiger Sicht ziehen müssten.
Geradezu weltfremd klingt mit zeitlicher Distanz vor allem auch die Verbissenheit, mit welcher die Nordstraße als Rettung für ein “aussterbendes” Ösling dargestellt wurde. Heute weiss man: Regionalentwicklung braucht andere Instrumente, als den Bau einer neuen Straße. Das Ösling hat sich – parallel zur allgemeinen Bevölkerungsentwicklung Luxemburgs – in den vergangenen Jahren auch ohne Nordstraße weiter entwickelt. Dass im Rahmen der Debatten zur Nordstraße von Politikern des Nordens gar die Nationalhymne vor der Abgeordnetenkammer angestimmt wurde, wirkt deshalb im nachhinein noch befremdender als damals.
Mit kritischem Blick gilt es aber auch die weiteren gemachten, und bis dato nicht gehaltenen, Versprechen für das Alzettetal, zu werten: Den Gemeinden des Alzettetales wurde vorgegaukelt, sie würden dank der Nordstraße von den täglichen Blechlawinen teilweise befreit. Dazu würden Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung durchgeführt, die CR 123 würde – so die damalige Straßenbauministerin E.Hennicot-Schoepges – für den Autoverkehr geschlossen. Was ist bis dato erfolgt? Nichts! Die CR 123 wurde – nach überdimensionnierten Änderungen – wieder für den Verkehr in beiden Richtungen geöffnet, an der Nationalstraße 7 wurde (mit Ausnahme eines kleines Teilbereiches) keine Verkehrsberuhigung geplant bzw. umgesetzt. Erst in der aktuellen Legislaturperiode wurden Planungen angekündigt bzw. finden entsprechende Diskussionen zwischen Gemeinden und Ministerium statt…
Eine ähnliche Bilanz kann in Zusammenhang mit den gesetzlich vorgeschriebenen Kompensierungsmaßnahmen aus Naturschutzsicht gemacht werden. Die vorgesehene Begleitgruppe zur Klärung der Detailfragen wurde seit 1997 (dem Zeitpunkt der Abstimmung im Parlement) scheinbar in den vergangenen Legislaturperioden nicht ein einziges Mal einberufen. Erst unter der aktuellen Regierung erfolgte dies. Und viele Fragen bleiben weiter ungeklärt, so z.B. folgende: erfolgen die Kompensierungen effektiv im Verhältnis zur Zerschneidung und teilweisen Zerstörung des größten zusammenhängenden Waldareals Luxemburgs ?
Den Informationen des Mouvement Ecologique zufolge sind die für die Kompensierung notwendigen Terrainaufkäufe seitens des Staates nur zum Teil erfolgt. Umgesetzt worden ist zum Zeitpunkt der Eröffnung der Nordstraße noch keine einzige Maßnahme!
Naturschutzbelange und wohl auch Naturschutzrecht wurden zudem missachtet (u.a. die damaligen Vorgaben betreffend Impaktstudien). Nur: in den 90ger Jahren verfügten nur die Grundstücksbesitzer (beim Grünewald die öffentliche Hand selbst) über Klage- bzw. Rekursmöglichkeiten, nicht so interessierte BürgerInnen oder aber Naturschutzorganisationen. Diese Situation wurde staatlicherseits ausgenutzt, und bewusst geltendes Recht verletzt, so u.a. die Vorgaben im Bereich Impaktstudien (korrekte Abwägung der Notwendigkeit des Baus der Nordstraße und deren Alternativen, Variantenvergleich…). Nicht ausreichend berücksichtigt wurde bei den Planungen zudem die Tatsache, dass der Grünewald ein wichtiges Areal zum Wasserschutz und zur Trinkwasserspeicherung ist.
Mobilitäts- , Regional- und Naturschutzpolitik im 21. Jahrhundert muss anders aussehen…
Man muss aber auch feststellen, dass seit den Debatten um den Bau der Nordstraße ein gewisser Mentalitätswandel stattgefunden hat. Heute ist eigentlich theoretisch unumstritten, dass die Lösung der Mobilitätsprobleme nicht mehr alleine bzw. prioritär durch Straßenbau erfolgen kann. Fast jeder tritt für den Ausbau des öffentlichen Transportes ein, während dieser in den 90ger Jahreneine marginale Bedeutung hatte. Auch haben die Regionalentwicklung und Landesplanung – trotz bekannter Schwächen – einen anderen politischen Stellenwert erhalten. Dank EU-Recht haben wichtige Lebensräume und Landschaften zudem einen weitreichenderen Schutzstatus erhalten. Auch Klage- bzw. Rekursmöglichkeiten wegen Verletzungen der Umwelt- und Naturschutzgesetzgebung wurden ausgeweitet.
Doch gerade vor diesem Hintergrund gilt es verstärkt die Lehren aus dem Nordstraßen-Fiasko für die Regional- und Mobilitätsplanung sowie den Naturschutz und die Bürgerbeteiligung zu ziehen. Denn: Trotz aller Entwicklungen, die in den vergangenen 20 Jahren erfolgten, sind wir noch weit entfernt von einer nachhaltigen Mobilitäts- und Regionalplanung. Die z.T. feststellbaren Veränderungen in den Einstellungen und Aussagen, haben nur begrenzt zu reellem politischen Handeln geführt:
- Regionalentwicklung und Dezentralisierung: Die rezente Diskussion über die sektoriellen Pläne der Landesplanung hat aufgezeigt, dass das Bewusstsein für eine bewusstere Steuerung der Entwicklung von Gemeinden und Regionen deutlich gewachsen ist. Die Zusammenarbeit von Gemeinden untereinander und vom Staat mit den Gemeinden einer Region muss aber ohne Zweifel noch intensiviert werden und zusätzlich für die BürgerInnen auch nachvollziehbar werden. Staatliche Gelder müssten verstärkt nach regionalen Kriterien verteilt werden.
Große urbane Projekte gilt es im Sinne einer effektiven Dezentralisierung als Siedlungsschwerpunkte wie “Nordstad”, “Mersch Gare” und “Wiltz” voranzutreiben. - Mobilitätsplanung: Anerkannterweise wird der öffentliche Transport heute weniger stiefkindlich behandelt als noch vor 20 Jahren. Die hohen Investitionssummen in den Ausbau der Infrastrukturen beweisen es. Und doch: schlechte Abstimmung von Zug- / Busverbindungen, fehlende regionale Mobilitätskonzepte, häufige Verspätungen und Zugausfälle führen zu Ernüchterungen. Außerdem wird trotz deutlich begrenzter staatlicher Finanzmittel, z.T. immer noch doppelgleisig gefahren. Sprich: Ausbau des öffentlichen Transportes und gleichzeitig des Straßennetzes! Der noch immer beabsichtigte Ausbau der A3 ist ein gutes Beispiel dafür. Geändert hat diesbezüglich lediglich die Argumentation: waren es früher Versprechen zur Verbesserung der Verkehrssituation so werden nun Sicherheitsargumente für den geplanten Ausbau angeführt.
- Stichwort Naturschutzrecht: Dank EU-Vorgaben im Naturschutzbereich wäre heute ein Eingriff, wie jener durch die Nordstraße in den Grünewald, kaum noch möglich. Allerdings ist angedacht, unter der Juncker-Kommission das EU-Recht abzuschwächen (Stichwort: Refit, Überlegungen die Habitat- und Vogelschutzdirektive aufzuweichen)!Die EU braucht weiterhin eine starke Naturschutzgesetzgebung, ansonsten riskieren Naturschutzbelange auf nationaler Ebene immer wieder “unter die Räder” zu kommen. Insofern sollte sich die Luxemburger EU-Präsidentschaft für eine Beibehaltung der aktuellen EU-Vorgaben einsetzen.
Verkehrsberuhigung Alzettetal und Kompensierungsmaßnahmen dringend geboten!
Doch neben diesen grundsätzlicheren Überlegungen, gilt es auch sicherzustellen, dass nach Eröffnung der Nordstraße alle gemachten Versprechen eingelöst werden. Dies bedeutet u.a.
- Die Versprechen für das Alzettetal müssen umgehend umgesetzt werden: die N7 muss fußgängerfreundlicher gestatet werden, der Radverkehr stärker gefördert, der Busverkehr kundenfreundlicher gestaltet und der Schwervekehr konsequent eingedämmt werden. Eine generelle Umgestaltung des Straßenraumes auf der N7 sowie des CR123 ist Voraussetzung für eine generelle Verkehrsberuhigung im Tal. Erfolgt dies nicht, dann wird es nicht zu einer Erhöhung der Lebensqualität für die EinwohnerInnen im Tal kommen. Vielmehr wird die N7 – bei Stausituationen auf Kirchberg – weiterhin unter dem Verkehr zu leiden haben!.
- Das Gesetz räumt den staatlichen Stellen nach Fertigstellung des Projektes noch 3 Jahre ein, um die Kompensierungsmaßnahmen umzusetzen: Mouvement Ecologique sowie natur&ëmwelt drängen auf eine korrekte und schnelle Umsetzung dieser Vorgabe!
Gefordert wird, dass das Nachhaltigkeitsministerium der Öffentlichkeit Aufschluss erteilt über den aktuellen Gesamtstand der Terrainkäufe zur Umsetzung der Kompensierungen in Sachen Nordstraße: immerhin hat das Gesetz von 1997 Kompensierungsmaßnahmen auf rund 154 ha vorgesehen. Es gilt weiterhin sicher zu stellen, daß ein möglichst gleichwertiger Ausgleich der angerichteten Schäden erfolgt (im gleichen „Wuchsbezirk“, in Zusammenhang mit den gestörten Lebensräumen bzw. –arten, eine langfristige Absicherung…). Obligatorische Maßnahmen im Rahmen von EU-Verpflichtungen (z.B. in Natura 2000-Schutzgebieten wie dem Mamertal) können nicht gleichzeitge als Kompensationsmaßnahmen für die Nordstraße gelten.Auch wenn, wie die Folgen der Nordstraße nie kompensiert werden können, verlangt eine elementare politische Korrektheit der Politik den gesetzlich vorgeschriebenen Vorgaben integral zu entsprechen. - Dem Ausbau der modernen Stadtbahn, dem Bau der geplanten Peripheriebahnhöfe und dem Ausbau der Infrastrukturen im Bereich des Schienenverkehrs muss weiterhin oberste Priorität eingeräumt werden.
- Aufgrund der Öffnung der Nordstrasse wird der öffentliche Busverkehr aus Richtung Osten weiter benachteiligt. Denn viele der RGTR-Linien nutzen die A1 (Trierer Autobahn) bis hin zur Sortie Kirchberg. Die zu erwartende Zunahme des Verkehrs durch die Nordstraße, die genau in diesem Bereich auf die A1 stößt, ist klar, dass für die Benutzer dieser Buslinien die jetzt schon üblichen Verspätungen zu den Stoßzeiten erheblich zunehmen werden. Es muss unbedingt eine diesbezügliche Lösung gefunden werden, z.B. indem zumindest zwischen Senningerberg und Sortie Kirchberg die Busse Priorität eingeräumt bekommen. Die jetzigen Nutzer auf eine Lösung des Problems durch Tram und P&R Héihenhaff in frühestens 5-6 Jahren zu vertrösten, ist nicht akzeptabel.
Der Bau der Nordstraße gehört sicherlich zu einem der symbolträchtigsten Dossiers für die Naturschutzbewegung. 750 Millionen Euro, d.h. 30 Milliarden Luf (!) wurden für das teuerste luxemburgische Straßenbauprojekt aller Zeiten investiert, das Nationaldenkmal Grünewald zerschnitten und in seinem ökologischen Wert erheblich gemindert, ohne dass wir der Lösung der Verkehrsprobleme Luxemburgs dadurch auch nur annähernd näher gekommen wären.
Die Argumente der Gegner des Projekt “Nordstraße” haben sich vielmehr größtenteils bewahrheitet.Eigentlich eine Bestätigung dafür, dass die Politik gut daran täte die Meinung der Zivilgesellschaft Ernst zu nehmen und neue nachhaltigere Wege der Zukunftsgestaltung zu gehen.