Nachhaltige Entwicklung
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„Der Stoff, aus dem wir sind“ – Konferenz mit Fabian Scheidler am 30. November 2022 im Oekozenter Pafendall

Auf Einladung des Mouvement Ecologique referierte Fabian Scheidler am 30. November bei einer Konferenz im Oekozenter Pafendall vor rund 40 Menschen. Scheidler kritisiert ein mechanistisches Weltbild, das die Natur als beherrschbare Sache begreift, von der der Mensch losgelöst ist. Im Anschluss an seinen Vortrag hatten die Zuschauer: innen die Möglichkeit, mit dem Referenten zu diskutieren.

 

(Bitte entschuldigen Sie die Tonprobleme, die in den ersten fünf Minuten der Aufnahme aufgetreten sind. Wir werden versuchen, sie zu beheben)

 

Scheidler beginnt seinen Vortrag mit dem Status quo. Wir befinden uns im größten Artensterben seit 60 Millionen Jahren. Fruchtbare Böden gehen verloren. Süßwasser wird knapper. Und die Klimakrise verschärft diese Prozesse noch.

 

Das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung hat 16 Kipppunkte ausgemacht. Wenn diese Punkte erreicht werden, dann gibt es kein Zurück mehr, dann sind die Schäden nicht mehr reversibel. Wir stünden kurz davor, einige dieser Punkte zu erreichen oder hätten sie schon erreicht, erklärt Scheidler.

 

„Wir haben nicht nur eine Möglichkeit geschaffen das Leben, auf der Erde auszulöschen, sondern gleich mehrere“, mahnt Scheidler. „Eine Krise auf allen Ebenen“. Die Ursache dafür hat er ausgemacht: „Der Grund ist m.E. ein Wirtschaftssystem, das auf endloser Expansion beruht.“ Ein System, so Scheidler, das nicht existieren kann „ohne aus Geld immer mehr Geld zu machen“. Ein System, in dem wir immer wieder Dinge wegwerfen, um sie durch neue zu ersetzen.

 

Scheidler macht einen kleinen Ausflug in die Vergangenheit. Parallel zum modernen Kapitalismus seit dem 17. Jahrhundert sei eine neue Art entstanden die Natur zu betrachten. Diese Sichtweise bezeichnet er als „mechanistisches Weltbild“. Es geht um die Vorstellung, dass die Welt eine Maschine ist. Dass sie in einzelne Teile (Natur, Mensch…) zerlegt und beherrscht werden kann. Eine Weltsicht, in der das, was gemessen und gezählt wird, mehr wert ist als das, was wir erleben, so Scheidler. Ausgehend von der „Himmelsmechanik“ (also der Bewegung der Himmelskörper) ist diese Vorstellung auf Lebewesen übertragen worden, und führte dazu, dass etwa Tiere – aber auch Menschen (Stichwort Sklaven) – als bloße Maschinen betrachtet wurden.

 

Welt ist mehr als nur Materie

 

Scheidler spricht in diesem Zusammenhang von einer technokratischen Ideologie. Blüten treibt diese Ideologie etwa wenn davon die Rede ist, das Klima mit Geoengeneering zu retten oder den Mars mit Atombomben zu terraformen, wenn die Erde nicht mehr zu retten ist. An dieser Stelle stellt Scheidler klar: Er unterscheidet sehr wohl zwischen der technokratischen Ideologie und serösen Naturwissenschaften.

 

Diese Idee der mechanischen Natur gab es nicht immer. Der Astronom Johannes Kepler sprach etwa von einer Weltseele, einer Idee, die der Gaia Hypothese nicht unähnlich sei, erklärt Scheidler. Und es ist mitnichten so, dass das mechanistische Weltbild immer auf alles eine Antwort hatte. Als Isaac Newton beschrieb, wie Gravitation durch den leeren Raum wirkt, stand diese nicht immer Einklang mit der gängigen Idee. Newton wurde, so Scheidler, beschuldigt, okkulte Ideen in die Physik einzuführen. Heute sind es Phänomene der Quantenphysik, die Rätsel aufgeben. „Das Universum ist ganz anders als wir denken. Es ist viel Rätselhafter, als wir denken“, so Scheidler. „Wir stoßen oftmals in der Physik an Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit“.

 

Auch in der Biologie stoße das mechanistische Weltbild an Grenzen. „Leute wie Descartes und Hobbes glaubten, dass Körper Automaten sind und dass man Leben nach dem klassischen Vorbild der Mechanik verstehen könnte“, so Scheidler. „Dass man alles was lebend kontrollieren und vorhersagen könnte“. Das sei aus zwei Gründen gescheitert. Anders als mechanische Prozesse bestehe Leben aus „nicht-linearen, selbstorganisierenden Kreislaufprozessen“. Im Klartext: Wenn man einen Stein tritt, kann man seine Flugbahn berechnen. Wenn man einen Hund tritt, kann man nicht genau vorhersagen, was passiert. Das sei ein Grund weshalb das mechanistische Weltbild am Leben scheitere. Das Leben sei durchzogen von Bedeutungen (z.B. geben wir beim Reden Zeichen von uns die beim Gegenüber etwas auslösen)  und man könne nicht vorhersehen, wie diese (z.B. in Gesten) interpretiert werden. Deshalb sei es unmöglich Vorhersagen zu machen. Damit sei es auch unmöglich, vorherzusehen, welche Wirkung Eingriffe in lebende Systeme haben. Der Glaube, man könne lebende Systeme beherrschen und kontrollieren, sei „ein gefährlicher Irrtum“.

 

Der Zauber der bleibt erhalten

 

Ein weiterer Grund warum dieses Weltbild scheitere sei die Tatsache, dass wir über ein Innenleben verfügen. Die erlebte Wirklichkeit besteht etwa aus Farben, Gerüchen, Emotionen usw.. Viele Tiere haben sicherlich auch solche Innenwelten, sagt Scheidler und stellt die Frage, wie wohl das Innenleben einer Eidechse, einer Schnecke, einer Ameise oder eines Fadenwurms aussieht. „Wir wissen über den Ursprung des Bewusstseins so wenig wie die ersten Menschen“, so Scheidler. Durch die Wissenschaft sei die Welt eben nicht, wie oft gesagt, entzaubert worden, sagt Scheidler, sondern sie sei ganz im Gegenteil immer rätselhafter geworden.

 

Dann kommt Scheidler auf den Kapitalismus zu sprechen, der für ihn drei Säulen hat. Eine davon ist die Akkumulation von Kapital in einem endlosen Kreislauf von Profit und Reinvestition. Davon können zum Beispiel Aktiengesellschaften sich gar nicht lösen und mag noch eine so gute Person an ihrer Spitze stehen, sagt Scheidler. Eine zweite Säule ist der moderne Staat, der zusammen mit dem Kapitalismus entstanden ist. Moderne Staaten waren anfangs nicht mehr als eine Militärorganisation, erklärt Scheidler. Sie liehen sich Geld bei Händlern in Genua, Florenz und Amsterdam, um Söldner und Kanonen zu kaufen. Gewinne für die Geldgeber erzielten sie durch Plünderungen. Der Referent spricht von einer „explosiven gewalttätigen Dynamik“, die zu immer größeren Kriegen und der Kolonialisierung führte.

 

Als dritte Säule hat Scheidler die ideologische Macht ausgemacht. Denn: „Kein System, vor allem keines das auf Ungleichheiten und Gewalt beruht, kann ohne Legitimation auskommen.“ Scheidler spricht in diesem Zusammenhang vom „Mythos des Westens“. Der Idee „,dass wir eine überlegene Zivilisation sind“. Diese Auffassung gebe es seit 500 Jahren in unterschiedlichen Variationen.

 

Diese entstehenden Staaten brauchten Wissenschaften. Ingenieure für ihre Festungen, Hydrologen für ihre Flotten usw. Die Wissenschaften waren dafür da, den Staaten die Mittel zur Verfügung zu stellen, ihre Expansion voranzutreiben. „In dieser Weltsicht musste alles berechenbar sein – für die Landesherren, für die Feldherren und für die Investoren.“

Scheidler geht auch kurz auf die Tiere ein, um die Wirkungsmacht dieser Sichtweise zu demonstrieren. Bis 1990 wurden sie im deutschen Recht als Gegenstände gehandelt. Und bis heute werden sie so behandelt.

 

Mit der Natur wurden auch Menschen zu Objekten – zu einer Arbeitsmaschine und zu einem Maschinenrädchen in der großen Maschine der Kapitalvermehrung. Schule soll (neben dem lehren von sinnvollen Dingen wie Lesen und Schreiben) darauf vorbereiten, sich in ein System von Belohnung und Strafe einzufügen und auf die Lohnarbeit vorbereiten  – also Aufgaben auszuführen, deren Sinn man selbst nicht recht versteht.

 

Jahrhunderte lange Kriege in Europa haben zu einer Traumatisierung geführt, so glaubt Scheidler, die dazu führt, dass wir keine Verbundenheit mehr zu unseren Mitmenschen und zu unserem eigenen Körper empfinden können – was zu einer Atomisierung der Gesellschaft führt. Natürlich gibt es auch Gegenbewegungen. „Ich nenn‘ das die Sehnsucht nach dem Ganzen“, so Scheidler. Das Gefühl also Teil des großen Ganzen zu sein. Ein Teil dieser Gegenbewegung erkennt Scheidler in der Epoche der Romantik die die Idee hat, dass wir mit allem verbunden sind.

 

Wie wird sich die Welt entwickeln?

 

Wie aus dieser Misere herauskommen? Scheidler diagnostiziert immerhin nicht weniger als die Krise einer ganzen Zivilisation und sieht uns in einer „chaotischen Übergangsphase zu etwas, das wir noch nicht kennen“. „Hoffentlich etwas Besseres“, sagt er.

 

Übergänge von einer Epoche in die nächste seien grundsätzlich nicht planbar, glaubt Scheidler. Aber: In der Arbeit geht es für ihn nun darum, der Lohnsklaverei entgegenzuwirken. In der Bildung geht es darum, die Entfaltung der Persönlichkeit in den Vordergrund zu stellen. In der Politik geht es darum, Selbstorganisation zu stärken. In der Geopolitik geht es darum, das zu überwinden, was Scheidler als „globale Apartheid“ bezeichnet, – also die extreme Spaltung zwischen globalem Norden und Süden.

 

Für den Übergang brauche es eine Wirtschaft, die nicht der endlosen Akkumulation, sondern dem Allgemeinwohl verpflichtet ist. „Wir leiden ja nicht daran, dass wir zu wenig Dinge haben, sondern an einer Überproduktion.“ Aus der Glücksforschung sei bekannt, dass (wenn ein gewisses Niveau erreicht ist) das Wachstum und die Lebensqualität nicht verbunden sind. Statt Wachstum brauche es Umverteilung (von Gütern, Wohnraum, Arbeit…).

 

Für Unternehmen schlägt Scheidler etwa vor, dass sie nicht nur eine Finanzbilanz vorlegen, sondern auch eine Gemeinwohlbilanz der Aufschluss darüber gibt, welche Wirkung das Unternehmen (über seine gesamte Wertschöpfungskette hinweg) auf die Natur und die Gesellschaft hat. Ein Unternehmen, das gut abschneidet, könnte Steuervorteile erlangen, günstigere Zinssätze auf Kredite zahlen und bei öffentlichen Aufträgen bevorzugt behandelt werden.

 

Anstelle von Naturbeherrschung schlägt Scheidler die „Kooperation mit komplexen lebenden Systemen“ vor. Scheidler erklärt das am Beispiel der Landwirtschaft. Profitmaximierung führt hier zum massiven Einsatz von Pestiziden, was der Biodiversität schadet und so die Grundlage für die Landwirtschaft kaputt macht. Selbst Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission sagte im Sommer: „Ohne Reduktion des Pestizideinsatzes droht Europa eine Lebensmittelkrise“.

 

Und eine weitere zentrale Aussage zeichnet Scheidlers Analyse aus: In Krisenzeiten wie den Heutigen in dieser „Chaossituation“ können auch kleinere Strömungen in einer Gesellschaft eine wichtige Umgestaltung anstoßen. Keiner weiß, wie es ausgeht. Es besteht die Gefahr, dass rechtsextremes Gedankengut sich mehr verbreitet, es besteht aber auch eine große Chance für die ökologische Bewegung“.

 

An den Schluss seines Vortrags stellt Scheidler einen Gedanken über die Chaostheorie: „Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Florida kann einen Tropensturm woanders auf der Welt auslösen. In dem Masse, indem wir uns als Schmetterlinge betätigen und uns organisieren, können wir, – glaube ich – dazu beitragen, dass das System eher in die eine Richtung kippt, als dass es in die andere Richtung kippt.“