Referentin Katharina van Bronswijk bei ihrem Vortrag in Luxemburg
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„Emotionen sind keine psychische Erkrankung“ – Psychologin Katharina van Bronswijk über Klimaängste und wie man damit umgeht

Über gesellschaftliche und individuelle Hürden, die verhindern, dass stärker gegen die Klimakrise vorgegangen wird, über belastende Emotionen und wie die Transition gelingen kann. Darüber sprach rezent die deutsche Sprecherin der „Psychologists and Psychotherapists for Future“, Psychologin und Autorin Katharina van Bronswijk, auf Einladung des Mouvement Ecologique und des Oekozenter Pafendalls.

Warum sind wir als Gesellschaft augenscheinlich (noch) zu untätig und sehen zu, wie wir auf die Klimakatastrophe zurasen? Katharina van Bronswijk kennt nicht nur eine, sondern gleich sieben Antworten auf diese Frage, die sie (nach Robert Gifford ) als „die Drachen der Untätigkeit“ bezeichnet.

Der erste dieser Drachen, so erklärt die Referentin, ist unser „begrenztes Denkvermögen“, also unser Kopf, der nicht gemacht ist, um so komplexe Sachverhalte wie den Klimawandel zu verstehen. Wir sind oft voreingenommen und können nicht gut in die Zukunft denken. Eine zweite Ursache für Untätigkeit sind Ideologien, wie etwa der Glaube an die Lösung der Klimakrise durch technische Lösungen. Dritte Ursache für das Nichthandeln ist der Vergleich mit anderen sowie soziale Normen. Etwa: Warum soll ich nicht in den Urlaub fliegen, wenn mein Nachbar es doch auch tut? Oder: Wie reagiert ein Berufskollege (z.B. in der Landwirtschaft), wenn ich auf Bio umstelle? In Luxemburg – das hat die Referentin während ihres recht kurzen Aufenthaltes bereits bemerkt – ist das Autofahren noch zu sehr eine soziale Norm, Fahrradfahren hingegen weicht von dieser Norm ab.

Eine vierte Ursache für das Nicht-Handeln sind sogenannte unumkehrbare Kosten. Das heißt, dass es schwer ist von etwas abzuweichen, wenn man viel Zeit und Geld darin investiert hat. Etwa ein neues Auto stehenzulassen und durch das Fahrrad zu ersetzen. Missbilligung ist eine weitere Ursache. Gemeint ist das fehlende Vertrauen in Institutionen und die Wissenschaft. Diese kann auch die Form von Verschwörungserzählungen annehmen, erklärt die Referentin. Sechstens ist das wahrgenommene Risiko der Klimaveränderung oft nicht hoch genug. Klimamaßnahmen hingegen werden z.T. als riskant und teuer wahrgenommen. Und siebtens, so die Referentin, beschränken einige Menschen sich auf begrenztes Handeln. Sie trennen etwa den Müll, verzichten auf Plastiktüten oder fahren ein Elektroauto und überschätzen die Wirkung davon, während sie einen größeren Effekt erzielen würden, wenn sie weniger Fleisch essen und auf das Fliegen verzichten.

Die Zähmung der Drachen

Van Bronswijk bietet in ihrem Vortrag Lösungen an, wie diese „Drachen“ zu „zähmen“ sind. Zum einen auf individueller Ebene: sich informieren, Vorbild sein im Alltag, über das Thema sprechen, sich für eine andere Politik einsetzen. Zum anderen auf politischer Ebene: Den Stellenwert der Wissenschaft in politischen Entscheidungsprozessen erhöhen, Nudging (also durch gezielte Instrumente ökologisches Handeln voranzubringen), kontraproduktive Förderungen und Subventionen abschaffen, flankierende soziale Maßnahmen ergreifen…

„Wir können über die Klimakrise sprechen. Wir sprechen viel zu wenig darüber. Es ist zwar ein Stimmungskiller, aber eigentlich macht ein Großteil der Menschen sich Sorgen über das Klima“, so die Referentin. „Wir sind nicht allein damit.“

Die Referentin macht klar, dass sich der Klimawandel nicht nur auf die Umwelt auswirkt, sondern auch Folgen für die körperliche und geistige Gesundheit hat.  Längere Blütezeiten etwa verlängern die Pollensaison und können Atemwegserkrankungen verursachen, höhere Temperaturen erlauben es Insekten, welche Krankheiten auf Menschen übertragen können, sich in neuen Gebieten auszubreiten. Steigende Temperaturen, so van Bronswijk, führten außerdem zu mehr Aggression und die mit dem Klimawandel losgetretenen Fluchtbewegungen führten zu sozialen Unruhen.

Und: die gesellschaftliche Untätigkeit kann Klimaaktivist:Innen sehr belasten. „Emotionen sind keine psychische Erkrankung. Es ist ganz normal, dass wir Gefühle haben“, sagt Katharina van Bronswijk. Viel wichtiger sei es, wie man damit umgeht. Seine Gefühle mit Alkohol zu betäuben oder sich mit Serien von Streamingdiensten oder Shoppen abzulenken, seien jedenfalls keine guten Strategien.

Die Referentin führte derart auf verständliche Art und Weise an, dass Wissen alleine nicht ausreicht, um menschliches Verhalten zu verändern. Neben dem Wissen sind Werte, der Rahmen (Verfügbarkeit, Preise der Alternativen…), die Folgen veränderten Verhaltens, die finanziellen Anreize usw. von zentraler Bedeutung. Relevant ist vor allem aber auch, dass der Einzelne weiß, dass sein umweltbewussteres Verhalten ein wirklicher Beitrag ist, sich zahlreiche weitere Menschen und Akteure derart verhalten, und entsprechend ein reeller Vorteil für das Klima- und die Biodiversität entsteht.

Katharina van Bronswijk gelang es so auf sehr konkrete Art und Weise eine Verbindung zwischen psychologischen Herausforderungen und dem gesellschaftlichen Kontext herzustellen. Ihre Anregungen sprachen dann auch jeweils beide Ebenen an.

Soziale Gerechtigkeit

Wesentlicher Aspekt war zudem die soziale Gerechtigkeit: „Was schiefgeht, sind nicht die Emotionen, die wir haben, sondern die Tatsache, dass die 10 Prozent reichsten Menschen auf dem Planeten ungefähr 50 Prozent der Emissionen verursachen und wir eine riesige Ungerechtigkeit haben. Die ärmsten 50 Prozent der Bevölkerung verursachen nur zehn Prozent der Emissionen“, so van Bronswijk. „Es geht um Ungerechtigkeit!“ Es sei deshalb wichtig, sich für Klimagerechtigkeit einzusetzen.

Spannend waren aber auch die Überlegung der Referentin darüber, wie sich der Mensch im gesamten Oekosystem sieht. „Wir haben irgendwie vergessen, dass wir Teil des Ökosystems sind, dass wir eins sind mit dieser Welt. Wir denken, wir seien etwas Besonderes. Dass wir Ressourcen nehmen können, wie wir wollen. Dass wir Tiere töten können, wie wir wollen! Dass wir andere Menschen ausbeuten können, wie wir wollen!“ Für van Bronswijk begann die Klimakrise demnach auch nicht mit der Industrialisierung, sondern mit der Fahrt von Columbus nach Amerika. „Wir müssen ein neues Verhältnis zur Natur lernen und verstehen, dass diese Dinge zusammenhängen“, appeliert die Referentin.

Als besonders starkes Indiz dafür, dass die Gesellschaft krankt, sieht van Bronswijk das Phänomen der Parentifizierung. Das bedeutet, dass besonders Kinder und Jugendliche aktiv werden und damit die Aufgabe der Erwachsenen übernehmen. Ursprünglich beschreibt der Begriff Kinder, die im Haushalt die Aufgaben von Erwachsenen übernehmen, weil die Eltern beispielsweise depressiv sind.

Ihrer kritischen Analyse stellte van Bronswijk viele positive Elemente gegenüber: Dem Narrativ, vom egoistischen Menschen stimmt sie nicht zu. Im Gegenteil: Der Mensch sei ein soziales Wesen und es sei gewusst, dass er sich auch als Teil eines Ganzen sieht. Sie empfiehlt: Anstatt den Fokus auch in öffentlichen Debatten auf den ökologischen Fußabdruck zu richten, solle man den „Handabdruck vergrößern“. Also „auf der gesellschaftlichen und der politischen Ebene etwas bewegen“: um sich selbst zu verändern, aber vor allem auch einen Beitrag zur Umgestaltung des Systems zu leisen (Stichworte: sich engagieren, „Gegenrede“ halten u.v.a.m.).

Dem Gefühl der Ohnmacht, das Klimaaktivist:Innen befallen kann, dem Gefühl nur ein kleines Rädchen in einer großen Maschine zu sein, entgegnet die Referentin: „Es steckt eine unheimliche Kraft darin, wenn wir anfangen etwas zu tun.“ Wenn ein kleines Rädchen anfange sich zu drehen, dann müssten alle anderen sich mitdrehen.

Konferenzteilnehmer hören dem Vortrag von Katharina van Bronswijk zu


Das ganze Video:

 

07.10.22