Nachhaltige Entwicklung
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Das Koalitionsabkommen aus Sicht der nachhaltigen Entwicklung: Begrüssenswerte Aussagen – zentrale Herausforderungen der Zukunftsgestaltung fehlen

Das Koalitionsabkommen aus Sicht der nachhaltigen Entwicklung:

Nach einer Analyse des Koalitionsabkommens der neuen Regierung möchte der Mouvement Ecologique folgende erste Einschätzung abgeben. (*)

Wie zahlreichen Wissenschaftler ist sich auch eine steigende Anzahl von BürgerInnen und Politikern der Tatsache bewusst, dass dringendes Handeln erforderlich ist, wenn wir die Erderwärmung auf 1,5 Grad beschränken und verhindern wollen, dass das Ökosystem kollabiert. So wird z.B. im rezenten Sonderbericht des Uno-Weltklimarates (IPPC) betont, es bliebe der Menschheit nur noch 12 Jahre Zeit, also bis 2030, um das Ruder herumzureißen. Ähnliche dringende Schritte sind u.a. notwendig, um dem Biodiversitätsverlust Einhalt zu gebieten…

Hat die neue Regierung diese und andere zentrale Herausforderungen, auch an unser Land, erkannt? Setzt sie im Koalitionsabkommen den Rahmen, um mittels notwendiger tiefgreifender Reformen, unser Land langfristig fit für die Zukunft zu gestalten?

Einleitende Statements im Koalitionsabkommen sind in diesem Zusammenhang a priori positiv zu werten, wie z.B.: « Le Gouvernement relèvera les défis d’un développement économique dynamique allant de pair avec le respect des limites écologiques et de l’équité sociale » (S.3). Dieses Bekenntnis findet sich danach aber leider nur begrenzt in den konkreten Ausführungen wieder.

Sicherlich, diese beinhalten durchaus positive Ansagen, die der Mouvement Ecologique ausdrücklich begrüßt, wie u.a. folgende:

  • In Aussicht gestellt wird die Einführung eines “Nachhaltigkeitschecks” für Regierungsentscheidungen. Dieser wäre ein zentrales Instrument um sicherzustellen, dass die nachhaltige Entwicklung stärker Eingang in aktuelle Politikentscheidungen findet. Allerdings: es fehlt an konkreten Zeitvorgaben für die Umsetzung (dabei war dessen Einführung bereits in der vorherigen Legislaturperiode vorgesehen!). Ein fester Termin für die Einführung des Checks wäre demnach geboten gewesen, auch um sicher zu stellen, dass er in der laufenden Legislaturperiode noch kurzfristig zur Anwendung kommt!
  • Von großer Bedeutung ist das angeführte Klimachutzgesetz. Doch fehlt es im Abkommen leider an Kernaussagen, wie dieses gestaltet werden soll. Neben der lobenswerten Absicht die “Gouvernance” im Energie- und Klimaschutzbereich zu verbessern, wären vielmehr z.B. verbindliche sektorielle Zielvorgaben zur Reduktion der Emissionen unbedingt notwendig gewesen, was leider nicht der Fall ist.
  • Begrüßenswert ist des Weiteren, dass auch institutionelle Reformen vorgesehen sind, wie eine Aufwertung der Abgeordnetenkammer, die Infragestellung des Doppelmandates von Abgeordneten mit einem kommunalen Mandat sowie die Evaluierung des neuen Informationsgesetzes in zwei Jahren (dieses tritt am 1. Januar 2019 in Kraft).
  • Die angekündigte Erstellung einer Gesamtmobilitätsstrategie – wie auch der konsequente Ausbau des öffentlichen Transportes und der aktiven Mobilität – ihrerseits könnte zu wichtigen Verbesserungen auf der Ebene der Mobilität führen, ebenso wie die Einführung einer “Kosten-Nutzen-Analyse” für neue Infrastrukturprojekte. Dass jedoch eine ganze Reihe von Umgehungsstraßen (dabei ebenfalls besonders umstrittene), scheinbar losgelöst von der Gesamtstrategie und von dieser Analyse ausgenommen, gebaut werden sollen, ist ein Widersinn und lässt Zweifel über die Ernsthaftigkeit der erwähnten Ansagen aufkommen.
  • Die Einführung eines “Naturschutzpaktes” mit den Gemeinden (analog zum Klimapakt), die in Aussicht gestellten sehr konkreten Instrumente im Wohnungsbau, die geplante Förderung von Gemeinwohlinitiativen und andere Neuerungen sind darüber hinaus positiv zu werten, um nur noch diese zu nennen.

Demnach: Der Mouvement Ecologique erkennt durchaus wichtige positive Bausteine im Koalitionsabkommen!

Die grundsätzliche Ausrichtung des Koalitionsvertrages stellt jedoch nicht sicher, dass die zentralen ökologischen und sozialen Herausforderungen der Zukunft mit der notwendigen Schlagkraft angegangen werden:

  • Es braucht verstärkt sehr konkrete Ziele, staatliche Regularien und Vorgaben, um den gesellschaftlichen Umbau hin zu einer sozialen und umweltgerechten Strategie in die Wege zu leiten. Dies u.a. auch weil die Zeit drängt!
    Das Abkommen listet jedoch vielfach im Nachhaltigkeitsbereich eine ganze Reihe von vor allem voluntaristischen Übereinkommen bzw. freiwilligen Maßnahmen, mehr oder weniger sinnvollen Steuererleichterungen oder neuen Subventionen auf. So wichtig diese auch sein mögen: eine effiziente Nachhaltigkeitspolitik bedarf zusätzlich verbindlicher Instrumente, die das Erreichen konkreter Ziele in einem klar definierten Rahmen sicherstellen.
    So wird z.B. zum Erreichen der Klimaschutzziele und zur Umsetzung bestimmter Maßnahmen immer wieder auf den Klimapakt zwischen Staat und Gemeinden verwiesen. So positiv derartige Partnerschaften sind: es handelt sich um ein freiwilliges Kooperationsinstrument. Zum Erreichen der Klimaschutzziele sind weitaus stringentere Vorgaben notwendig, dies in den einzelnen Politikbereichen.
  • In der Konsequenz scheint diese Regierungskoalition eindeutig der Überzeugung zu sein, weitreichendere Vorgaben für Wirtschaft und Gesellschaft zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele seien nicht Dies, weil der technologische Fortschritt es schon richten würde… Es wird im Koalionsabkommen tatsächlich fast ausschließlich auf technische Innovation, Produktivitätssteigerung, Ressourceneffizienz, die “circular economy” … gesetzt, dies in den verschiedensten Kapiteln (Energie, Umwelt..). Dabei ist gewusst, dass technische Innovationen bzw. die Kreislaufwirtschaft sicherlich von großer Bedeutung und konsequent zu fördern sind. Es ist nach Überzeugung vieler Wissenschaftlicher jedoch ein Irrglauben, zu meinen, diese würden ausreichen, um den ökologischen Herausforderungen grundsätzlich zu begegnen. Die erforderlichen Reduktionsziele oder auch der fortschreitende Biodiversitätsverlust lassen sich nur durch einen Mix von rechtlich verbindlichen Vorgaben, einer Infragestellung unseres Wirtschafts- und Konsummodells verbunden mit dem technologischen Fortschritt erreichen (Stichwort Rebound-Effekt). In diesem Punkt ist das Koalitionsabkommen nicht schlagkräftig genug.
  • Verstörend ist zudem, dass ganz augenscheinlich Konfliktfelder umschifft wurden. Beispiel Tanktourismus: Wohl wird eine sehr geringe Erhöhung der Preise im Jahre 2019 in Aussicht gestellt, deren (lenkende) Auswirkungen jedoch äußerst fraglich sind. Dabei werden die fundamentalen Probleme, die z.T. in der Tanktourismusstudie aufgeworfen werden, umschifft (Stichworte: gradueller Ausstieg, Notwendigkeit von weitreichenderen Absprachen auch mit den Nachbarländern und vor allem Belgien). Oder das Dossier Flughafen : Nachtflüge werden zwar dezent thematisiert; welche eigentliche Entwicklung der Flugbewegungen des Flughafens im Generellen angestrebt wird, wird aber nicht präzisiert! Energieverbrauch: dieser soll zwar einerseits reduziert werden, parallel sollen aber auch die (derzeit niedrigen) Energiepreise für Betriebe kompetitiv gegenüber dem Ausland bleiben…
  • So werden dann auch in der Logik notwendige grundsätzlichere Reformen aus der Perspektive der nachhaltigen Entwicklung nicht angegangen, wohl da sie mehr gesellschaftlichen Diskussionsstoff bieten als voluntaristische Initiativen oder technische Innovationen:
    * Im Koalitionsabkommen wird die seit Jahren geforderte nachhaltige Steuerreform oder zumindest eine entsprechende Machbarkeitsanalyse nicht aufgegriffen! Sicherlich: es wird eine Energiesteuer angekündigt, aber: bei der nachhaltigen Steuerreform geht es um eine fundamentale Umgestaltung unseres Steuersystems, um eine sozialverträgliche Verlagerung der Steuerlast vom Faktor Arbeit auf die Faktoren Umweltverbrauch / Umweltbelastung und Kapital! Eine solche wird von allen fortschrittlicheren Ökonomisten als zentrales Instrument angesehen, um einen ökologischen UND sozialgerechten Umbau voranzutreiben.
    * Auch die Ansage einer Analyse, wie unser Sozialsystem unabhängiger vom Wachstum gestaltet werden könnte, fehlt. Dabei dürfte sogar den Wachstumsbefürwortern sehr wohl bewusst sein, dass es keine Garantie für ein stetes Wachstum gibt und die Finanzierung unseres Sozialsystems mittel- bis langfristig auf eine nachhaltigere Basis gestellt werden muss. Das Koalitionsabkommen macht dazu explizit keine Aussage… Damit wird Luxemburg weiter von einem kontinuierlichen realen Wachstum von 3 – 4% pro Jahr abhängig sein, mit allen Folgen, die wir kennen… Als höchst bedauerlich erachtet es der Mouvement Ecologique zudem, dass sich im Koalitionsvertrag ausdrücklich gegen eine Finanztransaktionssteuer ausgesprochen wird…
  • Notwendige Instrumente zur Ökologisierung der Wirtschaftspolitik fehlen: In den Debatten um u.a. die umstrittenen Projekte Fage bzw. Knauf wurde ersichtlich, dass es Defizite in der heutigen Gesetzgebung, der interministeriellen Zusammenarbeit und der Prospektionspraxis gibt. Wenn die Koalition es ernst meint mit umwelt- und regionalverträglichen Wirtschaftsbetrieben, dann braucht es klare, nachvollziehbare Kriterien dafür sowie eine reformierte Gesetzgebung (die z.B. Regeln festlegt wenn trotz Einsatz der bestmöglichen Technik ein Betrieb aus Umwelt- oder Gesundheitssicht höchst problematisch ist)!
  • Befremdend wirkt im Besonderen auch, dass eine verstärkte Bürgerbeteiligung und die Förderung gesellschaftlichen Engagements fast nur am Rande angeführt werden. Die Parteien der jetzigen Regierung waren vor Jahren gemeinsam damit angetreten, eine regelrechte Fortentwicklung der Demokratie im Sinne einer Bürgergesellschaft anzugehen. Diesem Anspruch wird das jetzige Abkommen – über eine Reihe recht allgemeiner Aussagen hinaus – nicht im notwendigen Ausmaß gerecht! Gesellschaftspolitisches Engagement wird nach wie vor nicht anerkannt: so wurde der Vorschlag zur Einführung (unter bestimmten Voraussetzungen) eines “Congé associatif”, wie er z.B. in Frankreich besteht, nicht zurück behalten!

Das vorliegende Koalitionsabkommen wird somit den Ansprüchen einer notwendigen “Transition écologique et sociale” nicht in ausreichendem Ausmaß gerecht. Vielmehr stellt es  tendenziell in der Essenz eine Politik des „Weiter wie bisher“ dar, wenn sicher auch mit einigen positiven Elementen…

Die zentrale Notwendigkeit aus Sicht der nachhaltigen Entwicklung, nämlich jene, dass alle Staaten konkrete (Reduktions)-Ziele erreichen müssen (auf der Ebene der CO2-Emissionen, des Ressourcenverbrauchs, der Umweltbelastung sowie des Artenschutzes) wurde scheinbar nicht im erforderlichen Ausmaß erkannt. Dabei sind die Zeiten vorbei, in denen man dachte, es reiche das vermeintlich Bestmögliche zu tun – wir müssen absolute Reduktionen sicherstellen.

Sowohl im Bereich der Klimaschutzpolitik, des Biodiversitätsverlustes, der UN-Agenda 2030 als auch der Verknüpfung von ökologischen und sozialen Interessen besteht erheblicher Zeitdruck sofort zu handeln! Eine Politik, die sich an rein pragmatischen Gesichtspunkten orientiert, wird somit den Herausforderungen nicht gerecht…

Es sei denn, und dies bleibt zu hoffen, die Regierungsparteien füllen die allgemeineren Aussagen des Koalitionsabkommens mit konkreten Inhalten im Sinne eines ökologischen und sozialen Wandels.

Der Mouvement Ecologique ist der tiefen Überzeugung, dass sich immer breitere Bevölkerungskreise der Notwendigkeit fundamentaler Veränderungen in unserer Art und Weise zu leben und zu wirtschaften bewusst sind und erwarten, dass die Politik diese Bereitschaft endlich aufgreift und ihre Verantwortung zur Zukunftsgestaltung übernimmt.

 

Exkurs zur Frage des kostenlosen öffentlichen Transportes und zur Abänderung der Kilometerpauschale

Der öffentliche Transport ist in Luxemburg, verglichen mit dem Ausland, sehr günstig. Zahlreiche Menschen profitieren bereits heute von einem Gratis-Angebot. Insofern stellt sich die Frage, ob eine Ausweitung des gratis öffentlichen Transportes auf alle EinwohnerInnen das wirkliche Problem in der Mobilitätsdiskussion trifft. Ein besseres und stark ausgeweitetes Angebot, eine Erhöhung der Pünktlichkeit, das Vermeiden des Ausfalls von Zügen bzw. eine verstärkte Absprache zwischen Verkehrsträgern u.a.m. sind die wesentlichen Faktoren, um den öffentlichen Transport attraktiver zu gestalten. Wer nunmehr den kostenlosen öffentlichen Transport in den Fokus rückt, begibt sich auf einen Nebenschauplatz.

Die weitgehende Abschaffung der Subventionierung des Individualverkehrs als Transportmittel zur Arbeit – wie sie derzeit durch die Kilometerpauschale erfolgt – ist (auch international) eine gängige Forderung im Rahmen einer nachhaltigen Steuerreform. Jedoch: In Luxemburg ist gewusst, dass die Wohnpreise vor allem im nahen Umfeld bzw. den weiteren Einzugsgebieten der Hauptstadt (mit gut entwickeltem öffentlichem Transport) fast unerschwinglich sind. Es gibt allerdings noch erhebliche Mankos (vor allem im ländlichen Raum) und – je nach Arbeitszeiten – nachvollziehbare Argumente , warum bestimmte Bevölkerungskreise schwerlich auf den Privatwagen verzichten können.

Insofern wird der Mouvement Ecologique seine Bewertung dieser Modulierung davon abhängig machen, wie diese Reform genau aussehen soll, ob sie sowohl aus Mobilitätssicht zielführend ist als auch sozial verträglich gestaltet wird.
 

(*) Der Mouvement Ecologique wird erneut das Bewertungsinstrument „Mecoskop“ auf dem Internetportal www.mecoskop.lu erstellen, in dem wichtige Koalitionsaussagen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung auf ihren Stand der Umsetzung verfolgt werden. Zum Zeitpunkt der Vorstellung des „Mecoskop“ wird sicherlich eine zusätzliche tiefere Analyse des Abkommens in den einzelnen Bereichen vorliegen.

17.12.2018